Freitag, 5. April 2024

Was verbirgt sich hinter Dr Stemmer, der Lauterbach zum Blühen brachte?

Dr Stemmer 1828-1908

Lauterbach im Mittleren Schwarzwald mit seinen knapp 3.000 Einwohnern liegt im Tal des Lauterbachs 540-887 m hoch. Zur Gemeinde gehört allerdings auch das Hochtal Sulzbach  mit 700-900 m. Lauterbach führte in seiner Abgeschiedenheit und als Anhängsel von Schramberg ein Aschenputteldasein bis Dr Stemmer kam.

Dr Ludwig Wilhelm Stemmer (1828-1908) wurde in Pfronstetten auf der schwäbischen Alb geboren, studierte Theologie, sattelte aber nach einem Jahr unter dem Eindruck der 48er Revolution auf Medizin um und wurde 1855 praktischer Arzt. Er kam als Distriktarzt nach Schramberg und wandte sich nach wenigen Jahren von  der Allopathie der Homöoparhie zu. Mit Freunden gründete er den Turnverein in Schramberg und heiratete 1859 die Schweizer Calvinistin Rosalie Bühler (1839-1871) mit der er 4 Kinder hatte, von denen 2 im ersten Lebensjahr starben.

Seit 1870 wirkte Ludwig Stemmer in Stuttgart als Modearzt, hatte großen Zulauf aus den höchsten gesellschaftlichen Kreisen. Es schien, dass er eine große Karriere vor sich hätte. Jedoch der frühe Tod zweier Kinder und das unerwartete Hinscheiden seiner Frau 1871 gaben Dr Stemmer einen anderen Sinn und Aufgabe seines Lebens. Anfang der 80iger Jahre brachte er sein 1848 abgebrochenes Theologiestudium zu Ende und ließ sich 1884 zum Priester weihen.

Im gleichen Jahr siedelte er mit seinen beiden Kindern, die er alleine erzog, nach Lauterbach über und wohnte in seinem Haus, das er sich in seiner Schramberger Zeit als Landhaus erbaut hatte. Neben diesem ließ er sich eine Kapelle bauen, in der er morgens die Glocke um 5 Uhr läutete und betete. Ständig hatte er einen großen Kreis von Patienten als Hausgemeinschaft um sich, Freunde aus der Theologie oder Medizin, adelige Vertreter oder Leute mit politischen Rang und Namen.

Dr Stemmer hatte sich Lauterbach für seine Tätigkeit als Mediziner bewusst ausgewählt, denn er kannte es von früher. Die klimatische günstige Höhenlage, seine Stoffwechsel und Kreislauf anregende Waldluft waren die Voraussetzung, denn Grundlage Stemmers  Therapie war das Naturheilverfahren. Dazu entwickelte er eine begleitende Wassertherapie, die 1889 eingehend bei Sebastian Kneipp in Wörrishofen studiert hatte. Das führte dazu, dass er 1891 eine eigene Kaltwasser-Anstalt unterhalb des Wohnhauses errichtete. Neben der äußeren medizinischen Versorgung betrieb er auch eine psychotherapeutische Behandlung. Als Priester verkörperte er bewusst das geistige Wesen des Arztes. Seelsorge und Sorge um den Leib: das bedeutet Heil für Menschen aus dem Glauben durch Tun.

Seine Tätigkeit kann als Auslöser der Öffnung der Gemeinde für den Fremdenverkehr angesehen werden. Ein ganzes „Kurviertel“ am östlichen Ortseingang mit mehreren Hotels entstand in der bis dahin unbedeutenden Gemeinde. Für seine Verdienste wurde Ludwig Stemmer 1891 zum Ehrenbürger Lauterbachs ernannt.

Die Schaffenskraft von Dr Stemmer schien unerschöpflich zu sein. Er war nicht nur Arzt und Mediziner sondern auch nach heutigen Maßstäben Sozialhelfer. Vielen aus der armen Bevölkerung Lauterbachs hat er ohne jede Honorarforderung behandelt. Sozial schwache Patienten bekamen neben ihrer Medizin auch regelmäßige finanzielle Unterstützung. Sobald er von Not oder Sorge in einer Familie erfuhr, suchte er sie auf, um mit Rat und Tat zu unterstützen.

Lauterbach hat mit seinem Tode 1908 nicht nur den Arzt und Priester verloren sondern die Armenwelt hat auch einen väterlichen Freund und Ratgeber verloren.