Freitag, 2. August 2024

Was verbirgt sich hinter "Schwäbisch Sibirien"?

Freudenstadt 1824

Herzog Friedrich I von Württemberg (1557-1608) war auch Graf von Mömpelgard, und beschloss 1599 eine Stadt oberhalb Christophstal zu gründen. Sie sollte den Bergbau in Christophstal fördern und gleichzeitig ihm als Hauptstadt dienen. Aus diesem Grund beauftragte er seinen Baumeister Heinrich Schickhardt, ihm ein Stadt mit 2.000 Einwohnern zu planen. Nach heutigen Maßstäben wäre dies eine Großstadt gewesen, die sich damals mit Frankfurt oder Köln hätte messen können.

Problem für den Herzog war allerdings: Keiner wollte dahin, wo ein halbes Jahr strenger Winter herrscht, kaum etwas wächst, während im Unterland den Menschen „die Früchte in den Mund wachsen“. Dies obwohl der Herzog jedem einen kostenlosen Bauplatz und Bauholz zur Verfügung stellte. Ferner gab es 10 Jahre Steuerfreiheit. Gerade mal 30 Familien ließen sich in Freudenstadt nieder. Das waren meist wohlhabende württembergische Familien, die 10 Jahre keine Steuern zahlen mussten.

In seiner Notlage schickte der Herzog Boten ins Alpengebiet von Österreich, um zukünftige Einwohner anzulocken. Außerdem befahl er, dass die Stadt nicht mehr Friedrichstadt sondern Freudenstadt heißen sollte. Und tatsächlich kamen in kurzer Zeit Glaubensflüchtlinge aus der Steiermark, Kärnten und der Krain, die Lohn und Brot im Bergbau von Christophstal fanden. Dem rauen Klima und mageren Boden sind die Entbehrung gewohnten Alpenländerbewohner noch am ehesten gewachsen gewesen.  Und siehe da, in wenigen Jahren stieg die Einwohnerzahl auf über 2.000.

Der Bergbau erwies sich aber nicht so ertragreich, wie ursprünglich angenommen, 1610 raffte die Pest die halbe Einwohnerschaft dahin. Zu allem Unglück brannte am 24. Mai 1632 fast ganz Freudenstadt ab. Gegen Ende des 30jährigen Kriegs war Freudenstadt 1634 für vier Jahre in Feindeshand und das, was noch übrig blieb, wurde ausgeplündert. Die leidgeprüfte Bevölkerung war auf knappe 70 Köpfe geschrumpft. Das Gerücht verbreitete sich, die Obrigkeit wolle die Stadt ganz aufgeben.

Nur die mächtige Stadtkirche, die 1608 in einer Winkelform ins Eck des Marktplatzes gebaut, da das Residenzschloss immer noch in der Planung war, hatte alle Katastrophen heil überstanden. Dies wurde als Wink Gottes angesehen, die Stadt wieder aufzubauen. Zwar erhielt Freudenstadt 1667 beginnend eine Befestigung durch Herzog Eberhard III. Aber sein Nachfolger ließ das schnell wieder einstellen, als er die Kosten dafür sah. So blieb Freudenstadt bis Ende des 18. Jahrhunderts total verarmt und war als Ort wenig beliebt.

Das begann schon damit, dass Herzog Friedrich dem blinden Orgelbaumeister den Auftrag gab, eine prächtige Orgel zu bauen. Wohlweislich hat er ihm verschwiegen, dass die Orgel für die Freudenstädter Stadtkirche bestimmt sein sollte. Als die Zeit gekommen war, die Orgel einzubauen, erfuhr der Orgelbauer, dass diese für die Kirche in Freudenstadt bestimmt war. Die Enttäuschung des Orgelbauers war nicht zu verbergen, denn in so einer feuchten Kirche, in einem Ort, in dem 6 Monate Winter herrschte, sollte sein Meisterstück eingebaut werden. Aber die Entscheidung des Herzogs war gefällt, und er bestand auf dem persönlichen Einbau des Orgelmeisters.

Es war immer schwer in dieses weltverlassene, industriearme und weit abseits des großen Verkehrs liegendes „Nagelschmiedstädtchens“ fähige Beamten zu bekommen. Denn eine Versetzung nach Freudenstadt kam einer Verbannung nach Sibirien gleich. Egal ob Dekan, Lehrer oder Stadtschultheißen immer das gleiche Problem und die gleichen Ausreden. Immer waren Zuschläge zum Salär, Überredungskünste, Umzugsvergütung, Amtswohnung und genügend Holz zum Heizen von Nöten.