Reiß 1875-1929 |
Aus den Tälern des Adler- und Sulzbachs, dem Hechtsberg und dem Martinshof rechts der Kinzig wurde aus Einbach heraus im frühen 19. Jahrhundert die Zwerggemeinde Sulzbach mit gerade mal 340 ha gebildet. Sie wurde 1921 nach Einbach eingemeindet und ist seit 1971 ein Ortsteil von Hausach. Heute sind auf dem ehemaligen Gelände von Sulzbach einige Bauernhöfe und der Landgasthof Hechtsberg, seit 1928 der Steinbruch Keller und seit einigen Jahren das Sägewerk Streit.
Der Landgasthof
Hechtsberg war ursprünglich ein Landgut, das Mitte des 19. Jahrhunderts von
einem Freiherr Otto von Dahmen aus abgewirtschafteten Hofgütern zusammengeführt
wurde. 1860 verkaufte dieser das Landgut an die Familie Reiß. Der Geheime
Kommerzienrat Ludwig Ferdinand Otto Reiß bewohnte mit seiner Familie das
Landgut und ließ im Laufe der Jahre ein exotischer Park anlegen.
Einer der Söhne
aus der 10-köpfigen Kinderschar war Rudolf Archibald Reiß (1875-1929). Nach dem
Schulbesuch studierte er an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Doch schon
1895 wechselte er an die Universität nach Lausanne, nahm ein Chemiestudium auf und promovierte
1898 zum Doktor der Naturwissenschaften. Sein Hauptaugenmerk diente der
wissenschaftlichen Anwendung der Photographie im Bereich der Medizin und
Gerichtsmedizin. Um seine Erkenntnisse über die Verwendung der Photographie im
polizeikriminologischen Bereich zu vertiefen, begab er sich zum Studium nach
Paris zum bekannten Alphonse Bertillon. Nach seiner Rückkehr 1902 lehrte er an
der Universität Lausanne „Die kriminalistische Photographie“ und legte damit
den Grundstein für die „wissenschaftliche Polizeimethoden“. 1906 wurde er wegen
seiner Verdienste zum außerordentlichen Professor für Polizeiwissenschaft an
die Universität Lausanne berufen.
Reiß erkannte
durch seine wissenschaftliche Arbeit und Forschungsergebnisse, dass man in der
Verbrechensbekämpfung sich nicht auf den Kommissar Zufall und den Spürsinn
einzelner Kriminalbeamter verlassen dürfe. Deshalb setzte er sich für die
Einrichtung eines Instituts für Polizeiwissenschaft ein, um dort Experten
ausbilden zu können. 1908 konnte er ein solches Institut an der Universität
Lausanne einrichten. Aus Rußland, Rumänien, Serbien, Griechenland, ja sogar aus
Brasilien wurden Staatsanwälte Untersuchungsrichter und Polizeibeamte zu seinem
Institut beordert. Auch reiste er in diese Länder und richtete technische
Untersuchungsinstitute ein.
Im Ersten
Weltkrieg stellte er sich gegen die Donaumonarchie und beschrieb die Leiden der
Zivilbevölkerung in Serbien und Griechenland. Er sammelte Geld und Hilfsgüter
für die leidgeprüfte Zivilbevölkerung, was zu zahlreichen Auszeichnungen und
Ehrungen führte. Er ging sogar soweit, dass er 1919 nach Belgrad übersiedelte
und in den Dienst der Regierung trat. Er unterstellte die Polizei dem
Innenministerium, führte wieder das
Strafregister ein und Fingerabdrücke wurden zur Pflicht bei der Polizeiarbeit.
Er hatte mehrere
europäische Notenbanken hinsichtlich der fälschungssicheren Prägung von
Banknoten beraten. Zahlreiche Bücher der Verbrechensbekämpfung und
Nachschlagwerke der Polizeiarbeit stammten aus seiner Feder, unzählige
Kongresse hatte er geleitet. Mit Orden und Ehrenzeichen wurde er geradezu
überschüttet.
Die
sprichwörtliche Arbeitswut hinterließ natürlich auch ihre Spuren, so dass er
plötzlich 1929 an einer Gehirnblutung in Serbien verstarb. Belgrad ordnete
seinem Ehrenbürger ein Staatsbegräbnis an. Sein Herz wurde in die Kapelle auf
dem Schlachtfeld von Xajmakcalan überführt. Ein berühmter Kinzigtäler hat das
Irdische hinter sich gelassen.
Hofgut Hechtsberg |