Freitag, 14. Februar 2025

Was verbirgt sich hinter Rudolf Archibald Reiß aus Sulzbach?

Reiß 1875-1929

Aus den Tälern des Adler- und Sulzbachs, dem Hechtsberg und dem Martinshof rechts der Kinzig wurde aus Einbach heraus im frühen 19. Jahrhundert die Zwerggemeinde Sulzbach mit gerade mal 340 ha gebildet. Sie wurde 1921 nach Einbach eingemeindet und ist seit 1971 ein Ortsteil von Hausach. Heute sind auf dem ehemaligen Gelände von Sulzbach einige Bauernhöfe und der Landgasthof Hechtsberg, seit 1928 der Steinbruch Keller und seit einigen Jahren das Sägewerk Streit.

Der Landgasthof Hechtsberg war ursprünglich ein Landgut, das Mitte des 19. Jahrhunderts von einem Freiherr Otto von Dahmen aus abgewirtschafteten Hofgütern zusammengeführt wurde. 1860 verkaufte dieser das Landgut an die Familie Reiß. Der Geheime Kommerzienrat Ludwig Ferdinand Otto Reiß bewohnte mit seiner Familie das Landgut und ließ im Laufe der Jahre ein exotischer Park anlegen.

Einer der Söhne aus der 10-köpfigen Kinderschar war Rudolf Archibald Reiß (1875-1929). Nach dem Schulbesuch studierte er an der Technischen Hochschule Karlsruhe. Doch schon 1895 wechselte er an die Universität nach Lausanne,  nahm ein Chemiestudium auf und promovierte 1898 zum Doktor der Naturwissenschaften. Sein Hauptaugenmerk diente der wissenschaftlichen Anwendung der Photographie im Bereich der Medizin und Gerichtsmedizin. Um seine Erkenntnisse über die Verwendung der Photographie im polizeikriminologischen Bereich zu vertiefen, begab er sich zum Studium nach Paris zum bekannten Alphonse Bertillon. Nach seiner Rückkehr 1902 lehrte er an der Universität Lausanne „Die kriminalistische Photographie“ und legte damit den Grundstein für die „wissenschaftliche Polizeimethoden“. 1906 wurde er wegen seiner Verdienste zum außerordentlichen Professor für Polizeiwissenschaft an die Universität Lausanne berufen.

Reiß erkannte durch seine wissenschaftliche Arbeit und Forschungsergebnisse, dass man in der Verbrechensbekämpfung sich nicht auf den Kommissar Zufall und den Spürsinn einzelner Kriminalbeamter verlassen dürfe. Deshalb setzte er sich für die Einrichtung eines Instituts für Polizeiwissenschaft ein, um dort Experten ausbilden zu können. 1908 konnte er ein solches Institut an der Universität Lausanne einrichten. Aus Rußland, Rumänien, Serbien, Griechenland, ja sogar aus Brasilien wurden Staatsanwälte Untersuchungsrichter und Polizeibeamte zu seinem Institut beordert. Auch reiste er in diese Länder und richtete technische Untersuchungsinstitute ein.

Im Ersten Weltkrieg stellte er sich gegen die Donaumonarchie und beschrieb die Leiden der Zivilbevölkerung in Serbien und Griechenland. Er sammelte Geld und Hilfsgüter für die leidgeprüfte Zivilbevölkerung, was zu zahlreichen Auszeichnungen und Ehrungen führte. Er ging sogar soweit, dass er 1919 nach Belgrad übersiedelte und in den Dienst der Regierung trat. Er unterstellte die Polizei dem Innenministerium,  führte wieder das Strafregister ein und Fingerabdrücke wurden zur Pflicht bei der Polizeiarbeit.

Er hatte mehrere europäische Notenbanken hinsichtlich der fälschungssicheren Prägung von Banknoten beraten. Zahlreiche Bücher der Verbrechensbekämpfung und Nachschlagwerke der Polizeiarbeit stammten aus seiner Feder, unzählige Kongresse hatte er geleitet. Mit Orden und Ehrenzeichen wurde er geradezu überschüttet.

Die sprichwörtliche Arbeitswut hinterließ natürlich auch ihre Spuren, so dass er plötzlich 1929 an einer Gehirnblutung in Serbien verstarb. Belgrad ordnete seinem Ehrenbürger ein Staatsbegräbnis an. Sein Herz wurde in die Kapelle auf dem Schlachtfeld von Xajmakcalan überführt. Ein berühmter Kinzigtäler hat das Irdische hinter sich gelassen.

Hofgut Hechtsberg