Freitag, 30. August 2024

Was verbirgt sich hinter der Strohflechterei in Schonach?

 


1716 erwähnte das Badische Landesgewerbeamt erstmals den Strohhut bei der Frauentracht als Kopfbedeckung anstatt dem Filzhut, denn die Strohflechterei als Hausgewerbe war eine Möglichkeit des  zusätzlichen Verdiensts. Auf dem kargen Schwarzwald mussten viele hungrige Mäuler gestopft werden. 1759 schickte Fürst Wilhelm Ernst zu Fürstenberg seinen Obervogt in Neustadt, Josef Lamberger, zur Kontrolle auf die Höfe, um die Fortschritte bei der Strohflechterei zu kontrollieren. 1806 schlug der Obervogt von Triberg, Theodor Huber, als Vorderösterreichischer Beamter, einen anderen Weg ein. Mit seiner Frau ging er auf die Höfe, um die Strohflechterinnen zu unterrichten. Das Ehepaar Huber hatte sich ihrerseits in der Verwendung des feinen italienischen Strohs und Werkzeuge im Ausland kundig gemacht und kaufte die Waren anfänglich zu festen Preisen auf, um eine höhere Qualität durchzusetzen. Allerdings bedeutete das, dass das Korn unreif geerntet werden muss, um das Stroh für feinere Flechtarbeit zu bekommen. Aber das rief den Widerstand der Bauern hervor.

1810 waren schon 1.500 Mädchen und Frauen mit der Heimarbeit des Strohflechtens beschäftigt. Die Strohbänder wurden von anderen Familien aufgekauft und zu –hüten, -taschen und Strohschuhen verarbeitet. Die eine oder andere Glasträger Companie nahm die Stroherzeugnisse mit, um den Absatz weiter zu streuen. 1850 gründete Robert Gerwig als Leiter der Uhrmacherschule die Strohfelchtschule. Erste Strohflechterin war Colestine Eisele.

1863 wurde in Schonach von L.F. Sauter eine Strohhutfabrik gebaut, die eine der bedeutensten des Schwarzwalds wurde. Sieben Jahre später wurden wöchentlich alleine 1200 Geflechttaschen ausgeliefert.1882 gründeten neunzehn Strohhutfirmen und Geflechthändler einen Verband zur Unterstützung der Strohindustrie, Ausstellungen mit neuen Kollektionen und Fördermittel vom Staat, um sich gegen die Importware aus China und Japan zu erwehren. Aber der Staat ließ die finanzielle Unterstützung 1904 auslaufen. Die Geflechtschule in Schonach unterrichtete unter immer schwierigeren Bedingungen bis in den 1920er Jahre das Aus kam.

Auch bei der Strohhutfabrik Sauter musste die Belegschaft immer wieder der sinkenden Nachfrage angepasst werden. Trotz allen Schwierigkeiten hatte die Tochter Annemarie Sauter das Unternehmen bis 1992 weitergeführt. Fasnachtsartikel mussten die immer größere werdende Lücke füllen. Dann war Schluss mit der letzten Strohhutfabrik im Schwarzwald.

Aber im Laufe der Jahre hat Dank der Heimat- und Trachtenvereinen ein Umdenken stattgefunden: Zurück zum Erhalt und Wiederbelebung der Traditionen. Seit 2011 können die Schülerinnen und Schüler der Natur-Park-Schule in Schonach Unterricht im Strohflechten nehmen. Im Schulgarten wird zusätzlich Roggen angepflanzt, geerntet und getrocknet. So wird ein ehemals wichtiges und traditionelles Gewerbe des Schwarzwalds mit seiner Bedeutung für die Nachwelt erhalten. Zusätzlich wurde 2016 ein Förderverein „Schwarzwälder Strohmanufaktur Schonach e.V.“ gegründet. Der Förderverein arbeitet in der Schule aktiv mit.

Die Gebäude der ehemaligen Firma Sauter sollten 2015 abgerissen werden, da das Material baufällig geworden war, und die Gemeinde das Areal gekauft hatte. Aber das Denkmalamt machte einen Strich durch die Rechnung und wehrte sich gegen den Abriss. 2019 legte der Förderverein ein Konzept vor, dass zuerst wie von der Gemeinde vorgeschlagen, das Anwesen Drogerie Sperl hergerichtet werden soll. Dann werden aus der alten Strohhutfabrik Sauter die Maschinen, Gerätschaften und Materialien aufbereitet werden, um anschließend in das Anwesen Sperl umzuziehen. Dort soll dann alles systematisch als Museum aufbereitet werden: Vom Flechten, der Nähstube bis zur Hutpresse sollen alle Arbeitsprozesse erlebbar gemacht werden. 

Strohhut Triberg unlackiert





Freitag, 23. August 2024

Was verbirgt sich hinter dem Hörnleberg über dem Elztal?


Der Hörnleberg über dem Elztal ist ein 906 m hoher Ausläufer des Rohrhardbergmassivs, auf dem eine Wallfahrtkapelle liegt, die „Kapelle unserer Lieben Frau vom Hörnleberg“.

Wie so oft liegt die Entstehung des Wallfahrtsorts im Dunkel der Geschichten. Angeblich soll ein erblindeter Elsässer, der das Gelübde ablegte, am Berg, den er zuerst sähe, zu Ehren Mariens eine Kapelle zu bauen. Mehrmals sah er in der aufgehenden Sonne über dem Hörnleberg die Mutter Gottes mit dem Kind. Er wollte unterhalb des Gipfels die Kapelle bauen, doch immer wieder wurde das Baumaterial nachts auf den Gipfel getragen, so dass die Kapelle im 8. oder 9. Jahrhundert hier oben erbaut worden sei. Andererseits berichtet eine Notiz von 1787 in der Registratur des Erzbischöflichen Archivs, dass nach alter Tradition auf dem Hörnleberg einst ein Götzentempel gestanden habe, der vor tausend und sechzig Jahren (also 727) der Bischof zu einer Muttergotteswallfahrt eingeweiht habe.

Urkundlich wird die Kapelle erstmals 1469 im Pfründebesetzungsbuch der Diözese Konstanz als „capelle uf dem Hörnlin“erwähnt. Schon 1513 besteht eine Bruderschaft zu Ehren der Himmelfahrt der allerseligsten Jungfrau Maria, die 1625 vom Konstanzer Bischof Jakob von Fugger von Kirchberg bestätigt worden ist. Noch im gleichen Jahr gewährt Papst Urban VIII der Bruderschaft reiche Ablässe. Die Pergamenturkunde mit Bleibulle wird heute noch im Pfarrarchiv von Oberwinden aufbewahrt.

1639 wurde Wallfahrtskapelle von Söldnerscharen geplündert, verbrannt und nach dem 30jährigen Krieg wieder als Holzkapelle aufgebaut. Ab dann wohnte ein Eremit in der Kapelle, der die Wallfahrt betreute. Die Wallfahrten entwickelten sich mit der Zeit zu einem richtigen Geschäft. So wurde der Konstanzer Bischof Marquard Rudolf bemüht, die Triberger Wallfahrtsverhältnisse zu überprüfen, weil die Wallfahrtseinnahmen auf dem Hörnleberg, das zum Kloster Waldkirch gehörte, stark zurückgingen. Die Triberger Wallfahrt sollte erledigt werden, was sich aber anders entwickelte.

Mit der Aufklärung unter Kaiser Joseph (1780/90) wurde in den Vorderösterreichischen Landen 1783 sämtliche Wallfahrten und Kapellen verboten, um das kirchliche Leben der Pfarreien zu stärken. Die Gnadenbilder und Votivbilder mussten beseitigt werden. Erst mit dem Tode von Kaiser Joseph und im 19. Jahrhundert wurden die Wallfahrten wieder nach und nach eingeführt, und sie blühen heute noch mehr denn je.

1763 und 1826 wurde die Kapelle wieder mal vom Blitz getroffen. Das Ministerium in Karlsruhe konnte im Zuge der Säkularisierung  1826 den Wiederaufbau verbieten. Aber in der Ruine wurde ein Marienbild aufgestellt, so dass viele Gläubige zum Gebet vorbeikamen. 1851 fand wieder die erste Wallfahrt statt. Anschließend setzte der Wiederaufbau ein. 1883 wurde das heutige Gnadenbild in einer feierlichen Prozession in die Kapelle gebracht. 1888 wurde sie auf die heutige Größe erweitert. 1973 wurde das Gnadenbild gestohlen. 1982 hielt ein Neues feierlichen Einzug mit einer Prozession. 1987 wurde der Kreuzweg eingeweiht. Die Wallfahrtszeit beginnt feierlich immer am 1. Mai und endet Ende November mit dem Christkönigssonntag. Am Samstag ist jeweils Wallfahrtstag und in den Hauptzeiten sonntags Gottesdienst, Beichten oder Rosenkranzgebete.

 

Im Mittelpunkt der Kapelle sowie des 1884 gestifteten Hochaltars steht das Gnadenbild, das Maria als Himmelskönigin mit dem Zepter darstellt. Auf dem Arm sitzt das ebenfalls gekrönte Jesuskind, das einen Reichsapfel hält. An der rechten Seitenwand hängt eine Kreuzigungsszene. An der linken Seitenwand eine Pieta  aus dem Jahr 1884. Verschieden Votivbilder drücken den Dank an die Gottesmutter aus, dass sie in schwierigen Zeiten geholfen hat.

Wallfahrtsbild Hörnleberg 1592


Freitag, 16. August 2024

Was verbirgt sich hinter den Kolonisten im Nordschwarzwald?

 

Ortstafel von Herrenwies bis 1967

Im 18. Jahrhundert veränderte sich mit zunehmender Bevölkerung die Nachfrage nach Holz – Brenn- und Bauholz insbesondere aber die „Holländerstämme“ für den Schiffsbau und Hafenanlagen waren gefragt. Überall wurden Bäche und Flüsse floßbar gemacht, um die Nachfrage zu befriedigen. Aber auch große Mengen Holz zur Glasherstellung wurden benötigt, denn 1735 wurde die Glashütte Herrenwies gegründet. Im Nordschwarzwald lagen riesige und unberührte Wälder zwischen dem oberen Nagold-, Enz- und Murgtal bis hin zur heutigen B 500, die es zu nutzen galt. Die jeweiligen Landesherren wollten Kasse machen, denn sie brauchten Geld für ihre Prachtbauten. Es waren besonders die großen Flößergesellschaften, Dürr in Rastatt 1745, die Calwer Companie, die Murgschifferschaft dazu ihre zahlreichen Sägewerke, die „billige Arbeitskräfte“ in diese unwirtschaftliche, abgelegenen, dem Urwald gleichenden Gegend heranzogen und sie daselbst sesshaft machten. Denn es wurden Holzfäller, Fuhrleute, Flößer, Pottaschebrenner und Säger benötigt. Ganze Familien lebten mit und vom Holz. Sie kamen aus den Alpenländern oder vom Schwarzwaldrand.

Es entstanden die Siedlungen oder Kolonien: In Württemberg wurden die Ankömmlinge, die evangelisch sein mussten, in bestehende Siedlungen aufgenommen oder neue gegründet. Grund und Boden wurde praktisch zur Pacht überlassen. So wurde im oberen Nagoldtal im bestehenden Erzgrube um 1700 Flößer und Holzfäller angesiedelt. 1723 wurde Herzogenweiler und 1725 Kälberbronn gegründet. Im oberen Enztal wurde Poppeltal, Gompelscheuer, Nonnenmiß, Sprollenhaus gegründet. Daneben gab es unzählige Wohnplätze wie Petersmühle, Rohnbach, Rollwasser und Grünhütte in den abgelegenen Wäldern.

In Baden wurden die Kolonisten angesiedelt, mit der Vorstellung diese nach Beendigung der Arbeit wieder los zu werden. Es entstanden 1720 in Reichental, einem Ortsteil von Gernsbach, auf dem badischen Teil von Kaltenbronn die Wohnplätze Dürreychbach, Brotenau und Rombach. Im Gebiet zwischen Murg und B 500 entstanden ab 1720  Raumünzach, Kirschbaumwasen, Fronbronn, Trabronn, Ebersbronn, Schindelbronn und Schwarzenbach. Es waren Forstkolonien, die im tiefen Wald entstanden, wo es am nützlichsten und bequemsten war. Es wurden Blockhütten mit 15 bis 16 Wohnungen für die Arbeitskräfte gebaut. Sie mussten katholischer Religion sein und erhielten je zwei Morgen Wiesen und Ackerfeld, die vom Wald gerodet werden mussten. Grund und Boden gehörte dem Staat, die Hütte dem Bewohner. Dies zeigt schon, dass die Rechtsverhältnisse sehr zweifelhaft waren. Die Arbeitskräfte wurden geduldet und unterstützt, solange man sie brauchte.

Nach dem ersten Fehler, die Arbeitskräfte nicht zu integrieren, wurden Sie dem Forstamt in allen Belangen unterstellt. Auch für Heiraten war das Forstamt zuständig und wurde angewiesen, sehr restriktiv damit umzugehen. Folge waren überdurchschnittlich viele uneheliche Kinder. Erst 1817 wurden die Kolonisten eine Art Staatsbürger, denn sie mussten nun Steuern bezahlen. Das Forstamt war auch weiterhin zuständig für die Ausstellung des Trauscheins. Die Teilung der Güter war verboten. Das Gut konnte nur einem Kind vererbt werden, der Vererber musste 60 Jahre alt sein. Man wollte mit allen Mitteln eine Ausdehnung der Forstkolonien verhindern. Folge war wilden Ehen, Sittenlosigkeit, Liederlichkeit und vermehrt uneheliche Kinder. Wenn möglich kaufte die Forstverwaltung Gütchen auf und ließ die Hütten niederreißen und verschärfte damit die Wohnungsnot. Nach den 1830er Jahren war die Armut und das Elend in den Forstkolonien so groß, dass der badische Staat alles unternahm wie Schuldenerlass  und Bezahlung der Überfahrt, nur um die Bewohner der Forstkolonien loszuwerden.  Erst 1870 wurden die Heiratsbeschränkungen in den Forstkolonien abgeschafft. 1896 bildeten die Forstkolonien eine abgerundete Gemarkung und 1930 wurde diese nach Forbach eingemeindet.

Man staune: 1968 erst verzichtete Baden-Württemberg bei den Kolonisten auf die Kolonistenvergütung (Pacht). Damit wurden sie freie, gleichgestellte Bürger auf freien Gütern, denn die Bodenzinsgüter wurden abgeschafft. Zumeist wurden aus ganz abgelegenen Wohnplätzen Forsthäuser.

Freitag, 9. August 2024

Was verbirgt sich hinter "Lorenz Furtwängler & Söhne" in Furtwangen?


Lorenz Furtwängler (1800-1866) war das 7. Kind von 12 Kindern des Fruchthändlers und Bauers Bartholomäus Furtwängler und seiner Frau Helena Dold im Vogtsgrund von Gütenbach.

Schon früh lernte er bei seinem ältesten Bruder Johann das Uhrmacherhandwerk, der im elterlichen Haus eine Werkstatt betrieb. 1836 heiratete er Mechthilde Volk von Vöhrenbach. 1839 zog er in den Schwefeldobel von Gütenbach, wo er ein kleines Häuschen für Familie und Werkstatt erwerben konnte. Genau genommen gehörte der Schwefeldobel politisch zu Neukirch, kirchlich zu Gütenbach. Furtwängler bekam für seine Uhren manche Auszeichnung auf den damaligen Gewerbeausstellungen. Er perfektionierte die 8-Tage-Uhr so sehr, dass diese noch 1852 als „Musteruhr“ den Schwarzwälder Uhrmachern als Vorlage diente. Auf Grund seiner Leistungen wurde er Verwaltungsratsmitglied des Uhrenvereins.

Lorenz Furtwängler bildete seine vier Söhne Gustav Adolf (1839-1905), Karl Hektor (1840-1911), Julius Theophil (1843-1897) und Oskar (1850-1908) zu tüchtigen Uhrmachern aus. Leider all zu früh starb der tüchtige Uhrmacher und seine vier Söhne führten das erfolgreiche Unternehmen weiter. Vor allem der Export der Uhren nach Rußland war gewinnbringend. Doch im Schwefeldobel fehlte die nötige Wasserkraft für die Produktion.

Zwei Jahre nach dem Tod des Vaters gründeten sie in Furtwangen auf einem Grundstück mit Wasserkraftrecht das Unternehmen „Lorenz Furtwängler & Söhne“. Der Zusammenhalt der Brüder war so stark, dass schon bald das Unternehmen eines der besteingerichteten Unternehmen im Schwarzwald genannt werden durfte und erhielt aus der ganzen Welt Auszeichnungen. Das Unternehmen beschäftigte 1870 28, 1890 113 Arbeitnehmer. Es war in vier Abteilungen aufgeteilt: Mechanische Werkstätte mit Vorbearbeitung der Uhrenwerksteile, Zusammensetzung der Werke und Komplettierung der fertigen Uhren, Kastenschreinerei und Holzbearbeitung, Versand und kaufmännische Leitung. Jedes der Bereiche wurde von einem Bruder geführt.

Der Erfolg des Unternehms führte zu weiteren Fabrikneubauten, denn 1871 wurden 660 Beschäftigte gezählt. 1895 wurde die offene Handelsgesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 1905 wurden allerdings nur noch 300 Beschäftigten gezählt. Im Musterzimmer des Unternehmens konnte die gesamte Produktpalette des Unternehmens besichtigt werden: Bodenstanduhren im aufwendigen Gehäuse mit raffiniertem Schlagwerk bis zur einfachen Schottenuhr wurde alles präsentiert.

Nach 1900 zogen sich die bisherigen Unternehmer von ihren Aufgaben zurück. Es wurden zwei familienfremde Geschäftsführer für den kaufmännischen und technischen Bereich eingearbeitet. Aber schon zeichnete sich ab, dass hochwertige und teure Uhren gegen den Trend liefen. Die preiswert produzierten „Amerikaneruhren“ eroberten sich den Markt, und nach dem Ersten Weltkrieg war die Bevölkerung verarmt. Aber dies war nicht der einzige strategischer Fehler. Auch die Produktion der Schreibmaschine „Cardinal“ war ein Fehler. Unmengen von Geld wurde für die Entwicklung verschlungen, neue Fabrikhallen wurden für diese für viel Geld gebaut, die Kinderkrankheiten wollten nicht enden. Die wirtschaftliche Krise der 20er Jahre gab dem Unternehmee den Rest. 1932 waren noch 12 Mitarbeiter beschäftigt und das bedeutete das Aus des Traditionsunternehmens.

Einer der langjährigen Mitarbeiter drückte es drastisch aus: „Die Furtwängler Uhren waren viel zu gut und die Schreibmaschine zu schlecht, un sell hät si hi gmacht.“

Lorenz Furtwängler & Söhne 1900


 

Freitag, 2. August 2024

Was verbirgt sich hinter "Schwäbisch Sibirien"?

Freudenstadt 1824

Herzog Friedrich I von Württemberg (1557-1608) war auch Graf von Mömpelgard, und beschloss 1599 eine Stadt oberhalb Christophstal zu gründen. Sie sollte den Bergbau in Christophstal fördern und gleichzeitig ihm als Hauptstadt dienen. Aus diesem Grund beauftragte er seinen Baumeister Heinrich Schickhardt, ihm ein Stadt mit 2.000 Einwohnern zu planen. Nach heutigen Maßstäben wäre dies eine Großstadt gewesen, die sich damals mit Frankfurt oder Köln hätte messen können.

Problem für den Herzog war allerdings: Keiner wollte dahin, wo ein halbes Jahr strenger Winter herrscht, kaum etwas wächst, während im Unterland den Menschen „die Früchte in den Mund wachsen“. Dies obwohl der Herzog jedem einen kostenlosen Bauplatz und Bauholz zur Verfügung stellte. Ferner gab es 10 Jahre Steuerfreiheit. Gerade mal 30 Familien ließen sich in Freudenstadt nieder. Das waren meist wohlhabende württembergische Familien, die 10 Jahre keine Steuern zahlen mussten.

In seiner Notlage schickte der Herzog Boten ins Alpengebiet von Österreich, um zukünftige Einwohner anzulocken. Außerdem befahl er, dass die Stadt nicht mehr Friedrichstadt sondern Freudenstadt heißen sollte. Und tatsächlich kamen in kurzer Zeit Glaubensflüchtlinge aus der Steiermark, Kärnten und der Krain, die Lohn und Brot im Bergbau von Christophstal fanden. Dem rauen Klima und mageren Boden sind die Entbehrung gewohnten Alpenländerbewohner noch am ehesten gewachsen gewesen.  Und siehe da, in wenigen Jahren stieg die Einwohnerzahl auf über 2.000.

Der Bergbau erwies sich aber nicht so ertragreich, wie ursprünglich angenommen, 1610 raffte die Pest die halbe Einwohnerschaft dahin. Zu allem Unglück brannte am 24. Mai 1632 fast ganz Freudenstadt ab. Gegen Ende des 30jährigen Kriegs war Freudenstadt 1634 für vier Jahre in Feindeshand und das, was noch übrig blieb, wurde ausgeplündert. Die leidgeprüfte Bevölkerung war auf knappe 70 Köpfe geschrumpft. Das Gerücht verbreitete sich, die Obrigkeit wolle die Stadt ganz aufgeben.

Nur die mächtige Stadtkirche, die 1608 in einer Winkelform ins Eck des Marktplatzes gebaut, da das Residenzschloss immer noch in der Planung war, hatte alle Katastrophen heil überstanden. Dies wurde als Wink Gottes angesehen, die Stadt wieder aufzubauen. Zwar erhielt Freudenstadt 1667 beginnend eine Befestigung durch Herzog Eberhard III. Aber sein Nachfolger ließ das schnell wieder einstellen, als er die Kosten dafür sah. So blieb Freudenstadt bis Ende des 18. Jahrhunderts total verarmt und war als Ort wenig beliebt.

Das begann schon damit, dass Herzog Friedrich dem blinden Orgelbaumeister den Auftrag gab, eine prächtige Orgel zu bauen. Wohlweislich hat er ihm verschwiegen, dass die Orgel für die Freudenstädter Stadtkirche bestimmt sein sollte. Als die Zeit gekommen war, die Orgel einzubauen, erfuhr der Orgelbauer, dass diese für die Kirche in Freudenstadt bestimmt war. Die Enttäuschung des Orgelbauers war nicht zu verbergen, denn in so einer feuchten Kirche, in einem Ort, in dem 6 Monate Winter herrschte, sollte sein Meisterstück eingebaut werden. Aber die Entscheidung des Herzogs war gefällt, und er bestand auf dem persönlichen Einbau des Orgelmeisters.

Es war immer schwer in dieses weltverlassene, industriearme und weit abseits des großen Verkehrs liegendes „Nagelschmiedstädtchens“ fähige Beamten zu bekommen. Denn eine Versetzung nach Freudenstadt kam einer Verbannung nach Sibirien gleich. Egal ob Dekan, Lehrer oder Stadtschultheißen immer das gleiche Problem und die gleichen Ausreden. Immer waren Zuschläge zum Salär, Überredungskünste, Umzugsvergütung, Amtswohnung und genügend Holz zum Heizen von Nöten.