Freitag, 13. Oktober 2023

Was verbirgt sich hinter der "Schächtele-Stadt" Lahr?

Erste Preisliste Dreyspring 1868

Zu den Kartonagen aus dem französischen „carton“ stammend zählen Umhüllungen oder Behälter, Schachteln, Dosen usw aus Karton und Pappe. Dabei wird unterschieden zwischen Rohkartonage –eine feste Schachtel- und Feinkaronage –auch Faltschachtel. Die Feinkartonagen werden zumeist gefüttert d.h. die Seiten werden mit Papier beklebt, der Boden ebenso aber auch mit Samt oder Papierspitzen.

Der Lahrer C. F. Dreyspring ging als Buchbindergeselle auf die Wanderschaft, um wie sein Vater die Buchbinderei zu erlernen, landete in Valéras in Südfrankreich und erlernte dort die Herstellung von Schachteln. Zurückgekehrt begann er 1816 handwerksmäßig Schachteln herzustellen. Vor allem runde Schachteln hatten es den Apothekern für die Aufbewahrung von  Medikamenten angetan. Diese wurden bisher in Holzspanschachteln aufbewahrt, die vom Schwarzwald runter kamen. Schon nach einigen Jahren wandelte er die Buchdruckerei seines Vaters in eine Kartonagenfabrik um, und nach 10 Jahren beschäftigte er 40 bis 50 Mitarbeiter. Denn aus der Apothekerschachtel bildete sich die Herstellung von feineren Kartonagen für kosmetische und Juwelierwaren oder für Konditoreiartikel heraus.

Wie immer bilden in solchen Fällen sich Unternehmen im gleichen Ort von tüchtigen Mitarbeiter heraus, die sich im Laufe der Zeit eigene Unternehmen aufbauen. So auch in Lahr die Firmen Liddi 1825, Zentgraf & Franck 1852, Markwardt & Dahlinger 1871, die sich 10 Jahre später in Marckwardt und C H Dahlinger trennten oder Otto Gabelmann 1890, um nur einige zu nennen, denn es gab noch viele im Laufe der Jahre.

Zu Beginn der Kartonagenfertigung stand wie schon ausgeführt die Apothekerschachtel zur Aufbewahrung von Medikamenten, die zuvor aus Holzspan gefertigt werden mussten. Die Apothekerschachtel zog ein weiteres Gewerbe, den Etikettensteindruck als Grundlage für das Druckgewerbe nach. Dieser folgte dann der Prägedruck, um den Kartonnagen ein wertvolleres Aussehen zu geben.

Im Laufe der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus der Kartonagenfertigung die Etuisfabrikation. Bei dieser Form der Verpackung war der Rohkörper des Etuis aus Holz –später aus Kunststoff- und die Beschläge aus Messing oder Holz. Meist wurden diese Etuis für die Kleinbijouterie hergestellt: Uhren, Gold- und Silberwaren. Die Firmen entwickelten aber auch Besteckkästen bis hin zu den Schaufenstereinrichtungen aber auch Behälter für medizinische, sanitäre, chirurgische und technische Artikel. Zwischen den Kartonagen und Etuisfabrikationen entwickelte sich noch die Halbetuis d.h. Schachteln aus Pappe, innen aber mit Stoff, Seide oder Samt ausgestattet. Gerade diese waren eine Spezialität der Lahrer Unternehmen, die mittlerweile in die ganze Welt exportierte.

Mit Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 und der Gründung des Deutschen Reichs 1871 war die Grundlage einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung gelegt, die erst mit dem Ersten Weltkrieg einen heftigen Rückschlag erlitt, da die gesamten ausländischen Verbindungen zusammengebrochen waren. Nach der inflationären Entwicklung der 20er Jahre kam die Aufschwungsphase der 30er Jahre. Auch hier entstanden wiederum Neugründungen wie die Firma Fritz Leser 1937. Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Zweiten Weltkriegs setzte sich die mühsame Aufbauarbeit im Wirtschaftswunder fort. Aus der Handarbeit mit dem Leimbrett, um den Karton mit Papier oder Folie zu bekleben, hat Anfang der 1980er Jahre der Kunststoff Einzug gehalten. In den Etuifabriken wurden nach und nach Spritzgussmaschinen aufgestellt. Im gleichen Verhältnis hat die Heimarbeit ihre Bedeutung dadurch eingebüßt. Produkte aus China und Fernost mit Lahrer Know how überschwemmten den Markt.

Was ist nun von den Pionieren der Anfangszeit übrig geblieben? Dreyspring (1816) ging durch verschieden Hände, stellte 1963 die Kartonagenproduktion ein und lebt heute als Druckerei C.F. Dreyspring weiter. Zentgraf & Frank hat 2014 die Produktion eingestellt. C H Dahlinger 1871 vertreibt heute in 5. Generation Etuis. Otto Gabelmann (1890) wurde Mitte der 1980er Jahre liquidiert. Leser (1937) als Nachfolger der liquidierten Fa Markwart (1871) heute in 4. Generation als Leser Packing & More Verpackungen.